PLM-Einsatz bei Nissan

Den Überblick behalten in komplexen Zeiten

Die IT-Landschaft im Auto wird durch die Umstellung auf Elektromobilität immer komplexer. Der japanische Automobilkonzern Nissan setzt daher beim Management seiner Softwarevarianten auf das PLM-System Aras Innovator. Mithilfe eines ‚Digital Thread‘ kann die Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle nun besser koordiniert werden. Die Effekte zeigen sich über die Unternehmensgrenzen hinweg.

Nissan Ariya (Bild: Aras Software AG)
(Nissan Ariya -Bild: Aras Software AG)

Der Wandel zur Elektromobilität und die Entwicklung von Funktionen wie dem autonomen Fahren stellen die Automobilindustrie vor Herausforderungen. Diese betreffen vor allem auch das Management der zugehörigen Softwaren. Der japanische Automobilkonzern Nissan schätzt den benötigten Quellcode für aktuelle Modelle auf über 100Mio. Zeilen pro Fahrzeug. Zum Vergleich: Das Space Shuttle benötigte für seine Flüge ins All nur rund 400.000 Zeilen. In Anbetracht dieser Komplexität entschied sich der Autobauer für die Einführung eines internen Informationssystems für seine Softwarevarianten. Ziel war es, eine abteilungsübergreifende Plattform für die Entwicklung der Fahrzeugsoftware zu schaffen, mit der auch die kooperierenden Allianzpartner arbeiten können und die eine digitale Rückverfolgbarkeit der verschiedenen Softwareversionen sicherstellt.

 (Bild: Aras Software AG)
(Bild: Aras Software AG)

Hilfe durch PLM

Als passendes Werkzeug identifizierte Nissan eine Product Lifecycle Management-Software (PLM), die als durchgängiges End-to-End-System die Entwicklung neuer Anwendungen im gesamten Konzern beschleunigen sollte. Die Kriterien lauteten wie folgt.

  • Verbesserung der Qualität der installierten Fahrzeugsoftware
  • Verkürzung der Entwicklungszeiten
  •  Steigerung der Ressourceneffizienz
  • Vereinheitlichung des Managements komplexer Softwarevarianten und Abschaffung paralleler Systeme
  • Eliminierung von Fehlern und Unstimmigkeiten, die durch manuelle Dateneingabe entstehen

Vor der Einführung einer solchen PLM-Plattform nutzte Nissan ein zentrales Speichersystem für die Originaldesigns der Fahrzeugsoftware und mehrere lokale Speichersysteme für lokale Anpassungen. Diese Anpassungen wurden dann manuell in das zentrale System kopiert. Dies führte jedoch Fehlern und Dateninkonsistenzen.

 (Bild: Aras Software AG)
(Bild: Aras Software AG)

Einführung in mehreren Phasen

Bei der Software-Auswahl legte Nissan vor allem Wert auf einfache Bedienbarkeit und Konfigurationsmöglichkeiten, um das System in einem internationalen Umfeld mit vielen unterschiedlichen Benutzergruppen einsetzen zu können. Mit Aras Innovator wurde der Autobauer fündig. Und mit der Einführung der Software kommen für Nissan bereits einige positive Effekte zum Tragen:

  • Die modellbasierte Architektur erleichtert die Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen
  • Das Datenmodell ermöglicht ein einfaches Mapping auf externe Datenstrukturen
  • Die offene API ermöglicht eine flexible und einfache Koordination mit externen Tools und Systemen

Die Einführung des PLM-Systems erfolgte in mehreren Phasen, wobei im ersten Schritt die lokalen Informationsspeichersysteme (System of Record, SOR) aufgelöst und im neuen System zusammengeführt wurden. Es entstand eine Architektur, die es ermöglicht, detaillierte Anpassungen einer Software in einer neuen Konfiguration zu speichern und mit dem ursprünglichen Design der Funktion zu verknüpfen, ohne dass Daten zwischen verschiedenen Systemen kopiert werden müssen. Das Ergebnis ist ein einziges SOR-System in dem Anpassungen aufgrund von Änderungen am ursprünglichen Design sofort erkannt und Anforderungs- und Funktionstests durchgängig verfolgt werden können. Zudem steigerte Nissan die Qualität bei gleichzeitiger Verkürzung der Entwicklungszeit.

Ressourcen gemeinsam nutzen

Im nächsten Schritt startete Nissan mit einem Allianzpartner ein Projekt zur Prozessintegration und gemeinsamen Ressourcennutzung. Die Schwerpunkte lagen auf Forschung und Entwicklung, Einkauf und Produktion sowie Elektronik- und Softwareintegration. Insbesondere die Integration der Elektronik- und Softwareentwicklung stand im Mittelpunkt. Für die Anbindung der bestehenden Systeme der Partnerunternehmen hat Nissan ein Overlay über Aras Innovator entwickelt, das sogenannte Alliance PLM (Grafik) Dieses ermöglicht die gemeinsame Nutzung von Daten zwischen den teilnehmenden Unternehmen, ähnlich wie es der Autobauer intern bereits umgesetzt hat. Bestehende Funktionen und Konfigurationen in den Unternehmen mussten nicht neu definiert werden. Die Prozessintegration mit Aras Innovator ermöglicht zudem eine globale Entwicklung und Rückverfolgbarkeit, sowie die gemeinsame Nutzung und Sichtbarkeit von Assets über Unternehmensgrenzen hinweg. Darüber hinaus erlaubt das Alliance PLM die Nachverfolgung und Organisation globaler Entwicklerteams. Die nahtlose Integration von Entwicklungsprozessen und -teams gilt als wichtiger Faktor für die künftige Wettbewerbsfähigkeit.

Alle Softwarevarianten im Blick

Elektronik und Software werden nicht für jedes Automodell von Grund auf neu entwickelt. Oft werden lediglich neue Funktionalitäten integriert. Dieses Auffrischen der Software ist auch deshalb nützlich, weil die einzelnen Softwarefunktionen bereits hinsichtlich der ursprünglichen Anforderungen verifiziert wurden. Die Wiederverwendung von Software verkürzt die Entwicklungszeit und senkt die Kosten bei gleichzeitiger Einhaltung der Sicherheitsanforderungen.

Bei Nissan gibt es zu diesem Zweck einen Softwarevarianten-Konfigurator. Vor der PLM-Software nutzte das Unternehmen dafür ein internes SOR auf Basis von Microsoft Access. Darin wurden mehr als 20.000 Software-Assets verwaltet. Aufgrund der manuellen Eingabe sogenannter ‚Tag Values‘, der visuellen Überprüfung der Datenkonsistenz und der manuellen Zuordnung von Attributen zu jedem Software-Asset erwies sich dieser Prozess jedoch als zeitaufwändig und fehleranfällig. Nach der System-Umstellung auf Aras Innovator verwaltet Nissan die Tags über hierarchische Listen. Dieser Ansatz reduziert die Definition neuer Tags auf die Auswahl aus einer vordefinierten Dropdown-Liste, wodurch menschliche Fehler reduziert werden. Die Funktion basiert auf einer 3-stufigen hierarchischen Struktur: Softwareserie, gefolgt von Gerätespezifikation, gefolgt von Fahrzeugspezifikation.

Alles rückverfolgbar

Die funktionale Sicherheit der Fahrzeugsoftware wird durch die verbindliche Norm ISO26262 gewährleistet. Automobilhersteller müssen für jede Fahrzeugfunktion ein offizielles Protokoll über die Risikobewertung des Fahrzeugs, der einzelnen Funktionen und über den Entwicklungsprozess erstellen. Dazu gehört auch die Rückverfolgbarkeit von Einzelfunktionen, Entwicklungsprozessen und Systemvarianten. Durch die Verknüpfung des PLM-Systems mit dem vorgelagerten Anforderungsmanagement-Tool, dem nachgelagerten Problemverfolgungssystem und den Beziehungen zu den vom PLM-System verwalteten Software-Assets erfüllt Nissan diese Anforderungen. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Systemen stellt den digitalen Faden (Digital Thread) dar, der mit allen erforderlichen vor- und nachgelagerten Tools verbunden werden kann.

Um die Anforderungen der ISO26262 noch besser zu erfüllen, haben Nissan und Aras eine Integration mit Matlab/Simulink entwickelt, einem Simulationswerkzeug für die Entwicklung von Elektronik- und Software-Steuerungssystemen. Die offene API von Aras ermöglicht die Suche und den Download von Software-Assets aus dem PLM-System in Matlab sowie die automatische Registrierung neu entwickelter Software aus Matlab in Aras Innovator. Dieser Datenaustausch fördert auch die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit – beispielsweise zwischen Konstruktion und Vertrieb. Geschäftsprozesse und die Systemspezifikationen können nun gleichzeitig entwickelt werden.

Langfristiges Projekt

Die PLM-Einführung ist ein langfristiges Projekt, und wird kontinuierlich angepasst. Derzeit wird an neuen Lösungen im Datenmanagement gearbeitet, um unterschiedliche Technologien schneller integrieren zu können. Denn vor allem Komponenten wie Antriebsstrang, Fahrwerksysteme oder autonome Fahrsysteme erfordern immer komplexere Softwaresysteme. In diesen Systemen müssen zunehmend domänenübergreifende Funktionen entwickelt werden, die einen domänenübergreifenden Datenaustausch erfordern. Die gemeinsame PLM-Plattform ermöglicht es Ingenieuren aus allen Domänen, Informationen nach Bedarf zu extrahieren. Und zwar so, dass sie mit den verschiedenen Werkzeugen und Anwendungen kompatibel sind.