Die Geschichte der Industrie 4.0 – Teil 1

Es begann mit einer Zugfahrt

Seit vielen Jahren ist die Industrie 4.0 in aller Munde. Doch was verbirgt sich dahinter, wie nahm die Vision der vierten industriellen Revolution überhaupt Formen an und wie sieht die Zukunft in diesem Transformationsprozess aus? In unserer Artikelserie werfen wir einen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Bild: ©Petr Ciz/stock.adobe.com
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In den 1990er Jahren begann das Internet real zu werden, PCs kommunizierten miteinander und die E-Mail nahm Fahrt auf. Parallel etablierten sich Mobiltelefone, das Internet der Dinge wurde diskutiert und einfache Smart Home-Anwendungen kamen auf. Der Legende zufolge war es Professor Detlef Zühlke, der während einer Zugfahrt darüber nachdachte, Produktionsmaschinen zu vernetzen, um die Fertigung auf ein neues Niveau zu heben: „Damit das überhaupt zu einem Erfolg kommt, bedarf es immer zwei bis drei Dingen“, erzählt er. Die Technologien waren reif und die Forschung beschäftigte sich seit Anfang der 2000er mit dem Internet of Things. Auch „Smart Homes gab es, sodass der Sprung eigentlich gar nicht so groß war, zu sagen, wir wollen auch eine Smart Factory haben.“

Im Jahr 2004 lud Zühlke Industrievertreter nach Kaiserslautern ein und überzeugte sie von der Idee einer vernetzten Produktion. Es gelang, und so gründeten 2005 sieben Unternehmen und Forschungseinrichtungen –­ DFKI, BASF, KSB, Pepperl+Fuchs, ProMinent, Siemens, TU Kaiserslautern – den Verein Technologie-Initiative SmartFactory KL (SF-KL). Schnell wurde mit dem Bau eines Demonstrators begonnen, die Idee sollte praktisch umgesetzt werden. Zühlke: „Zum Schluss war es eigentlich relativ einfach, das Ganze auf die Schiene zu setzen und damit die Vorbereitung zu leisten, was dann später sozusagen als Urknall, als Industrie 4.0 bezeichnet wird. Das kam ja erst einige Jahre später. Aber die ganzen Arbeiten, die dazu notwendig waren, die wurden eben hier (in der SmartFactory Kaiserslautern, Anm. I.H.) bereits in 2004 begonnen.“

Der Begriff

Während in Kaiserslautern erste praktische Schritte unternommen wurden, machten sich drei Professoren Gedanken darüber, wie die Produktion der Zukunft funktionieren und wie sie heißen könnte: Henning Kagermann, Wolfgang Wahlster und Wolf-Dieter Lukas sind die drei Namen, die eng mit der Erfindung von Industrie 4.0 verbunden sind. In einem Live-Talk auf der Hannover Messe 2023 führte Kagermann aus, dass der Grund für die Notwendigkeit, Produktion neu zu denken, die Wirtschaftskrise 2009 war. Um neue Krisen zu vermeiden, standen mehr Agilität, flexible Fertigung und mehr Digitalisierung auf der Agenda. „Das Beste in einer Krise ist, auf bekanntem aufzubauen und den nächsten Schritt zu machen. Und wir haben im Prinzip vorgeschlagen, die drei Dinge zusammen zu bringen: Internet der Dinge, Internet der Dienste, Cyber-Physische Systeme. Zunächst für die Produktion, weil das in gewisser Weise auch das Rückgrat des deutschen Erfolges war.“ Schnell wurde deutlich, dass die Idee generell auf andere Branchen übertragbar war. „Das hat dann dazu geführt, dass wir uns überlegt haben, was ist ein guter Name ist,“ so Kagermann weiter. „Cyber-Physische Systeme war nicht so gut vermittelbar.“ Wahlster ergänzt: „Das gefiel der Kanzlerin gar nicht. Das ist zu komplex, das kann man so nicht erklären. Und hat uns dann die Aufgabe gestellt, das war um Weihnachten 2010, (…) einen vernünftigen Begriff zu finden. Und da hatte ich dann irgendwann die Idee, naja, das könnte man ja als vierte Revolution bezeichnen.“ Drei technische Revolutionen hatte die Menschheit bereits durchlaufen. Die Mechanisierung, umgesetzt mittels Wasser- und Dampfkraft, die Elektrifizierung, geprägt von Fließbändern und elektrischer Energie, sowie die Automatisierung, gekennzeichnet durch Elektronik, IT und SPS. Wahlster: „Dann habe ich gesagt, 4.0, das klingt gut, da es ja Softwareassoziation erweckt. Jeder kennt die Versionsnummern bei Software und da dachte ich, 4.0 klingt besser, als vierte industrielle Revolution. Dann machen wir das mal. Und das hat sich ja als globaler Hit erwiesen.“ Wahlster erstellte erste erläuternde Folien, um die Vision zu erklären. „Die wurden dann tausendfach kopiert. Die meisten leider ohne Zitat, aber so ist es halt, und der Begriff hat sich durchgesetzt.“

Die Idee

Industrie 4.0 hat zum Ziel, IT mit Produktionstechnologien zu verschmelzen, um dadurch innovative und individuelle Produkte und Leistungen zu ermöglichen. Die Vision nimmt eine schnelle Neukonfiguration der Fertigung in den Fokus, in der unterschiedliche, aber kompatible Maschinen, autonom in einer Matrix zusammenarbeiten können. Die Kommunikation ist dabei das technische Schlüsselelement, denn Maschinen müssen mit Maschinen und Menschen Informationen (Daten) austauschen können. Die bisher meist hierarchisch oder linear funktionierende Produktionsarchitektur soll aufgebrochen, und durch den Einsatz technologischer Innovationen komplett umgekrempelt werden. Damit lagen völlig neue Herausforderungen auf dem Tisch, die vor allem Fragen auslösten. Wie können Maschinen miteinander sprechen? Wie sieht in Zukunft die Arbeitsorganisation aus? Welche Rolle spielen die Menschen auf dem Shopfloor? Ist eine flexible Fertigung überhaupt machbar, oder eigentlich ein Hirngespinst?

Die Industrie

Dr. Kurt Bettenhausen arbeitete 2005 bei Siemens und ist heute im Vorstand von Harting tätig. Für ihn ist es logisch, dass sich Unternehmen mit Industrie 4.0 beschäftigen und die Vision im eigenen Haus umsetzen. Denn wer in die Zukunft schaut, kam und kommt an „Industrie 4.0 nicht vorbei. (…) Uns allen war klar, dass dieser Trend in Richtung mobiler Datenübertragung, mehr Breitband, wahnsinnig viele Funktionen und Funktionalitäten ermöglichen wird, die uns in Richtung Modularität und Flexibilität auf ein ganz neues Niveau bringen. Dass das nicht über Nacht Einzug halten wird, in die industrielle Realität, war genauso offensichtlich.“ Er betont als erfolgversprechend die Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen und Unternehmen, „die gemeinsam in einem realitätsnahen Umfeld neue Ideen ausprobieren“ können. Das sollte die SmartFactory Kaiserslautern sein. „Das war zum damaligen Zeitpunkt einzigartig.“ Und das ist es bis heute. n

Im nächsten Teil der Serie lesen Sie, wie die Industrie 4.0 laufen lernte, und warum es sich mitunter auch mal verlaufen hat.