Komplettsysteme

Fertigungsprozesse nahtlos digitalisiert

Bei Robert Höhne Präzisionsmaschinen in Wagenhofen wird im Zweischicht-Betrieb an 35 CNC-Maschinen gearbeitet. Die fertigungsrelevanten Informationen beziehen die Mitarbeiter aus einem Komplettsystem von Geovision mit Modulen für Büro und Fertigung. Das Ziel ist es, die Werker schon an den Maschinen so mit Informationen zu versorgen, dass sie verantwortlich und motiviert auf den Erfolg des Unternehmens hinarbeiten.

Fertigungsprozesse - Arbeitsvorbereitung auf der Grundlage umfassender Informationen: Am grafischen Leitstand lassen sich Kapazitäten gut Überblicken.
Bild: Geovision GmbH & Co. KG

Der Erfolg seines 1968 gegründeten Maschinenbau-Unternehmens beruht laut Robert Höhne auf drei Säulen: Den rund 50 hochqualifizierten und motivierten Mitarbeitern, ausgezeichneten Maschinen mit perfekt aufeinander abgestimmten Einzelkomponenten und dem durchgehenden Einsatz von moderner Informationstechnologie. Der IT-affine Geschäftsführer hat deshalb schon früh die passenden Softwareprogramme ausgesucht, an seine Anforderungen angepasst und wenn nötig auch die Entwicklung beeinflusst. In dem Schwesterunternehmen Geovision GmbH & Co. KG wurden sie anderen Fertigungsunternehmen zugänglich gemacht und zu einem Komplettsystem mit Enterprise Resource Planning (ERP)– und Manufacturing Execution System (MES)-Funktionalitäten weiterentwickelt. Als Anwender testet das Maschinenbauunternehmen die Lösung stets besonders kritisch. In den Mittelpunkt rückt Robert Höhne die Fähigkeiten der Mitarbeiter: „Die Wertschöpfung entsteht in der Produktion“, schildert er. „Deshalb muss die Software in Benutzerführung und Prozessen zuerst die Bedürfnisse der Einsteller und Einleger an den Maschinen erfüllen.“ Informierte Einrichter können viele Entscheidungen selbst treffen, etwa die Auftragsreihenfolge auf Rüstzeiten optimieren, wenn das Material vorhanden ist. Andere Entscheidungen, etwa bei Terminkonflikten, können sie die Möglichkeiten auf Augenhöhe mit den Meistern diskutieren. „Dies schafft Identifikation mit dem Unternehmen und motiviert zu guter Arbeit“, sagt Höhne.

Funktionen an jeder Maschine

Den Mitarbeitern stehen in der Fertigung handelsübliche Personal Computer mit dem MES von Geovision zur Verfügung. Für jede Palettenmaschine gibt es ein Terminal, für je zwei normale Bearbeitungszentren eines. Das MES-Modul für die Betriebsdatenerfassung (BDE) sorgt für einen permanenten, papierlosen Informationsaustausch über Bearbeitungszeiten, Ausschuss oder Änderungen in Arbeitsplänen. Dem Werker zeigt es jeweils den aktuellen Fertigungsplan aller noch zu bearbeitenden Aufträge an. Zudem stehen Arbeitsanweisungen, Zeichnungen, NC-Programme oder Vorschriften bereit. Über Tastatur, Touchscreen oder Barcodes können die Bediener Buchungen aus dem tatsächlichen Durchlauf absetzen – etwa Störzeiten und -gründe, Nachbearbeitungen oder Fertigmeldungen. Die automatische Maschinendaten-Erfassung (MDE) reichert den Datenrückfluss aufgrund bestimmter Steuerungssignale an. So können Stück- und Zykluszeiten oder mannlose Bearbeitungszeiten zur Optimierung der Rüst- und Durchlaufzeiten oder der prozessorientierten Qualitätssicherung verwendet werden. Die Planung und Nachkalkulation von Mehrmaschinen-Bedienung oder Mehrfach-Aufspannung wird dadurch nachvollziehbar: „Im Nachhinein kann ich mir zu jedem Auftrag die Rüst-, Werkzeug- und Bearbeitungskosten pro Bauteil ansehen“, berichtet Robert Höhne. „Damit bin ich sicher, dass ich zu den angebotenen Preisen fertigen kann.“

Integrierte Qualitätssicherung

Gerade in der Auftragsfertigung von Einzelteilen und Kleinserien für anspruchsvolle Branchen wie Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik geht es um Qualitätssicherung und Dokumentation. Das CAQ-Modul der Anwendung hilft sicherzustellen, dass die Bauteile in den vorgeschriebenen Intervallen an den richtigen Stellen an der Maschine gemessen und die Ergebnisse dokumentiert werden. In Verbindung mit den Artikelstammdaten im ERP-System werden Mess- und Prüfpläne vom Erstmuster-Prüfbericht über den prozessbegleitenden Messplan bis zur der Organisation von Reklamationen erfasst. Die BDE-Terminals fordern die Mitarbeiter in festgelegten Intervallen zur Eingabe von Messwerten auf. Die Ergebnisreihen können an der Maschine grafisch dargestellt werden.

Werkzeug dezentral

Am Beispiel des IT-gestützten Werkzeugmanagements zeigt sich, wie sich mit dem Einsatz von Software Kosten sparen lässt. Um dieses Modul nach seinen Vorstellungen entwickeln zu lassen, hat Höhne Programmierer in der Toolflakes zusammengefasst. In zwei Punkten unterscheidet sich das auf einer SQL-Datenbank basierende System von allen anderen Werkzeugverwaltungen: „Im Vordergrund steht nicht die belastende, zusätzliche Verwaltung ohnehin funktionierender Technik, sondern das schöpferische, lebendige Management der Tools nach wirtschaftlichen Kriterien“, sagt Höhne. „Deshalb beruht das System darauf, dass jeder der rund 20 Einsteller in der Fertigung aktiv damit arbeitet. Eine zentrale Werkzeugausgabe eignet sich nur bei wenigen Mittelständlern – für unsere vielen Rüstprozesse aber nicht.“ Durch die Integration in die MES-Lösung werden die Artikelstammdaten, Lieferanten, Preisinformationen und Verbrauchswerte mit dem ERP-System ausgetauscht. Mit dieser Basis werden die Werkzeuge während der NC-Programmierung definiert. Das Zusammenbauen und Zerlegen nach den per Bild und Zeichnung visualisierten Vorgaben des Pottmanagers, so der Name des Werkzeugmanagement-Moduls, gehört zum Rüstvorgang an der Maschine. In Verbindung mit einer Identifikationsnummer werden die Vermessungsdaten und Standzeiten der Komplettwerkzeuge protokolliert. Diese sind in den Werkzeugmagazinen an den Maschinen, deren begrenze Kapazitäten jedoch durch externe Speicher auf 200 bis 300 Werkzeuge erweitert werden. So kann der Pottmanager bei jedem Rüstvorgang aus dem gesamten Werkzeugbestand mit der richtigen Aufnahme (BT40 oder BT30) ein geeignetes vorschlagen. Rund 1.400 Wechsel pro Woche profitieren von dem ‚erweiterten Werkzeugspeicher‘, der jeweils rund fünf Minuten Rüstzeit spart. Monatlich können dadurch rund 480 Arbeitsstunden eingespart werden. „Durch die Vorhalte- und Gruppenlager haben wir die Rüstzeiten um 80 Prozent reduziert“, erläutert Robert Höhne. „Außerdem werden nun die Schneiden aufgebraucht, bis sie stumpf sind. Dadurch konnten weitere 40 Prozent der Werkzeugkosten eingespart werden.“

Digitale Fertigung

Die Vorzüge der eingesetzten Software zeigen sich bis weit über die Fertigung hinaus. Weniger Rückfragen, hohe Planungssicherheit bei Lieferterminen, bessere Einkaufsbedingungen erhöhen auch die Produktivität der übrigen Mitarbeiter. „Jeder kann sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren“, berichtet Robert Höhne. „Unsere Meister arbeiten etwa zu 80 Prozent auf Produktkosten, nur zu 20 Prozent an übergreifenden Aufgaben.“ Auch der Chef wird vom System unterstützt: Selbst auf dem Mobiltelefon kann er sich über den Auftragsstand in der Fertigung, die Fertigungskosten pro Bauteil oder die Auslastung des Maschinenparks informieren. Das ist gegenüber jenen, die ihre Betriebe nach der monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertung führen, ein handfester Vorteil. „Mit dem Aufkommen der CNC-Maschinen waren gewaltige Kosteneinsparungen verbunden“, erinnert sich Robert Höhne. „Im Moment erleben wir durch die vollständige Digitalisierung der Fertigung einen vergleichbaren Effekt.“







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