VDMA stellt Monetarisierungs-Canvas vor

Konkurrenzfähige Services entwickeln und durchrechnen

Der Kondratjew-Zyklus beschreibt in fünf Wellen seit Erfindung der Dampfmaschine, wie technische Innovationen die Märkte aufrütteln und verändern. IT-Technologie ist der Motor der aktuellen fünften Welle. Hiesige Maschinenbauer sind also gefordert, digitale Produkte und Dienstleistungen für ihr Angebot zu erfinden. Dabei hilft das Monetarisierungs-Canvas des VDMA.

 (Bild: ©Andrey Popov/stock.adobe.com)
(Bild: ©Andrey Popov/stock.adobe.com)

Deutsche und europäische Maschinenbauer sind sehr erfahren darin, die eigenen Produkte stetig weiterzuentwickeln, sie in den Markt zu bringen und den Betrieb beim Kunden mit hoher Qualität sicherzustellen. Ihre Produkte haben weltweit einen hervorragenden Ruf und sind begehrt. Die produzierten Maschinen werden in vielen verschiedenen Branchen eingesetzt und tragen zur Bedeutung des produzierenden Gewerbes in Deutschland mit einem BIP-Anteil von 24 Prozent bei. Der Wohlstand in Deutschland hängt also auch vom Erfindungsreichtum der Maschinenbauer und ihren Nutzern ab. Hiesige Unternehmer waren zudem immer gut darin, sich an neue Entwicklungen und Trends anzupassen. Und es gab in den letzten Dekaden viele Trends, die sie zum Umdenken zwangen. Man kann sie anhand der sogenannten Kondratieff-Zyklen nachverfolgen, die seit Beginn der Industrialisierung zu fünf langen Wellen geführt haben.

Umschwung durch Technik

Ausgangspunkt für diese langen Wellen sind Paradigmenwechsel, ausgelöst durch bahnbrechende Innovationen: Es wird massenhaft in neue Techniken investiert und damit ein Aufschwung hervorgerufen. Nachdem sich die Innovation allgemein durchgesetzt hat, verringern sich die damit verbundenen Investitionen drastisch und es kommt zu einem Abschwung. In der Zeit des Abschwungs wird aber bereits an einem neuen Paradigma gearbeitet. Die aktuell letzte Kondratieff-Welle ist verbunden mit der Informationstechnik, und sie ist noch immer nicht im Abschwung. Denn diese Technologie hat sich seit ihren Anfängen beständig weiterentwickelt, so dass es innerhalb der IT große weitere Innovationssprünge gab, die auf Produkte und Märkte wirkten.

SMS als Intermezzo

Ein Beispiel dafür ist der Einfluss von WhatsApp auf den Short Message Service (SMS). 1992 wurde die erste SMS verschickt, die auf dem GSM-Mobilfunkstandard basierte, und der SMS-Dienst wurde schnell sehr beliebt. 2003 wurden in Deutschland 25,5 Milliarden SMS-Nachrichten versendet, sieben Jahre später waren es bereits fast doppelt so viele. Jeder hätte erwartet, dass dieses Wachstum immer so weitergeht – aber dann kam ein erfolgreicher Herausforderer und löste die SMS ab. Der WhatsApp Messenger wurde von zwei befreundeten Computer-Spezialisten in Kalifornien mit dem Ziel entwickelt, Nachrichten besser als im SMS-Format zu versenden. WhatsApp nutzte die Weiterentwicklung der Handys zu Smart Phones als technische Basis sowie den 2008 gestarteten App-Store von Apple als Vertriebsweg. WhatsApp legte einen Raketenstart hin und sorgte für einen dauerhaften Einbruch bei SMS.

In disruptiver Zeit agieren

Dieser Effekt wird als Disruption bezeichnet. Disruptive Technologien beginnen oft in kleinen Märkten, haben zunächst noch einige Mängel und sind bei weitem nicht perfekt. Sie finden aber sehr schnell Anhänger und entwickeln sich stetig weiter. Am Ende drängen sie die etablierten Anbieter, die sie zu Beginn nicht ernst genommen haben, aus ihren Märkten. Sehr häufig gehen disruptive Effekte mit IT- bzw. Digitalisierungs-Technologien einher, wie im Fall von WhatsApp. Da solche Technologien bereits heute einen steigenden Einfluss auf die Maschinenbaubranche ausüben, kommt es erneut auf den Erfindungsreichtum der deutschen Unternehmer an. Wie können sie IT-Technologie sinnvoll nutzen?

Ausbremsen ist wirkungslos

Zunächst ist es wichtig, die Bedeutung der IT-Technologie anzuerkennen und bereit zu sein, sich konstruktiv mit ihr auseinanderzusetzen. Gescheiterte Versuchsprojekte sind kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Zumal potenziell disruptive Effekte bereits zu erkennen sind. Die Potenziale der künstlichen Intelligenz deuten sich in Form von ChatGPT an, was erahnen lässt, dass noch viel mehr möglich ist. Umso wichtiger ist es, sich IT-Technologie zu Nutze zu machen.

Digitale Produkte aufsetzen

Wie also könnte ein digitaler Service, ein digitales Produkt überhaupt aussehen? Um Firmen beim Beantworten dieser Frage zu unterstützen, hat der Expertenkreis Plattformökonomie des VDMA ein Canvas entwickelt, mit dem sich Ideen für neue Services bezüglich ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit bewerten lassen. Das Monetarisierungs-Canvas beleuchtet wesentlichen Aspekte eines Produktes und gibt Verantwortlichen ein Werkzeug an die Hand, die Gestaltung des Angebots in der frühen Entwicklungsphase strategisch zu strukturieren und Lösungen zu finden.

Zuvor Business Case erstellen

Eine Voraussetzung für die Arbeit mit dem Monetarisierung-Canvas ist meistens ein möglichst detaillierter Business-Case – beispielsweise über ein Value Proposition Canvas. Ohne diese Vorarbeit werden Anwender schnell feststellen, dass die Idee für den Markt unzureichend validiert ist. Beim Aufsetzen neuer Services werden oft auch die Kosten für die Bereitstellung des Dienstes, den Betrieb der IT-Infrastruktur, den Support und die Weiterentwicklung unterschätzt. Zumindest muss entschieden werden, welche Kosten den neuen Produkten zugeordnet werden sollen, und welche Kosten aus strategischen Gründen als Investition in die Zukunft geplant werden.

Realististische Erwartungen an den Vertrieb stellen

Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Vertriebsstrategie. Sollen die neuen Services nur digital, nur über den Außendienst oder in einer Kombination angeboten werden? Was bedeutet das für den Marktzugang, die Vertriebskosten und Erlöse? Für einen Value-based-Pricing-Ansatz muss zunächst untersucht werden, welchen monetären Nutzen der Kunde aus den Services zieht und insbesondere was er bereit ist, dafür zu bezahlen. Erst danach kann über das Pricing entschieden werden. In der Go-to-Market-Phase werden Serviceeinnahmen gering und Investitionen hoch sein. Erst mit der Marktakzeptanz werden die Erlöse bei einem abflachenden Kostenverlauf exponentiell steigen. Die Hürde besteht in einer mehrjährigen Budgetierung und Planung sowie der damit einhergehenden langfristigen und überjährigen Erfolgsrechnung. Das Canvas fordert daher dazu auf, potenzielle Erlöse und Kosten genauer zu untersuchen, da diese für die Preisbildung und somit den Erfolg entscheidend sind.

Zur Nutzung des Hilftsmittels sollten alle Beteiligten zu einem Workshop zusammenkommen, um die Felder im Canvas gemeinsam zu bearbeiten. Unterstützung dafür kann etwa über das Maschinenbau-Institut, die Weiterbildungsakademie des VDMA, angefragt werden (mbi@vdma.org). Das Monetarisierungs-Canvas kann das Werkzeug sein, das einem Maschinen- und Anlagenbauer bisher fehlte, um sich auf die Digitalisierung einzustellen und das eigene Unternehmen gegen disruptive Effekte abzusichern. Mit Blick auf die weltweite Entwicklung heißt das heute, ein vorhandenes Maschinenangebot durch konkurrenzfähige digitale Produkte und Services zu ergänzen.