Automatisiertes Risikomanagement mit Qualitätsdaten

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

Manufacturing Execution Systeme ermöglichen die vertikale und horizontale Datenintegration. Werden diese Informationen aus Produktions- und unternehmerischen Planungssystemen vernetzt, kann daraus ein automatisiertes Risikomanagement der Produktion entwickelt werden. Das Forschungsprojekt Quadrika will diesen Ansatz auch KMU zugänglich machen.

(Bild: ©ake1150/Fotolia.com)
(Bild: ©ake1150/Fotolia.com)

Die Digitalisierung bewirkt in erster Linie eine Steigerung der Prozesseffektivität. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die unterschiedlichen Ansprüche an ein Produkt steigen. Die individuellen Anforderungen von Kunden an die Produkteigenschaften nehmen ebenso zu wie die Forderungen von in der Wertschöpfung nachgelagerten Unternehmen hinsichtlich Produktqualität und Rückverfolgbarkeit. Um diese Anforderungen zu erfüllen und auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, nutzen produzierende Unternehmen Maschinen-, Betriebs- und Qualitätsdaten, um ihre Fertigungsprozesse zu verbessern. Die Vielzahl an einzelnen Systemen sorgt dabei für eine inkohärente Datenmenge, die keine Vergleichbarkeit bietet. Die Datenmodellierung ist jedoch gerade bei produktionsnahen Systemen aufwendig, da z.B. Kontextinformationen nicht systemübergreifend verfügbar sind. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) besitzen meist nicht die notwendigen IT-Ressourcen für den Aufbau einer Infrastruktur, mit der sich die vertikale und horizontale Datenintegration verwirklichen lässt.

Vertikale und horizonatel Integration

Was ist konkret mit vertikaler und horizontaler Datenintegration gemeint? Eine MES-Lösung fungiert als Drehscheibe für Informationen aus der Unternehmensleit- und der Produktionsebene. Es verknüpft die Rohdaten aus den jeweiligen Systemen, verdichtet sie und bereitet sie so auf, dass sie in Form von Kennzahlen für den jeweiligen Anwender visualisiert werden. Die Aufgaben eines MES lassen sich in folgende Bereiche aufteilen:

  • BDE/MDE (Betriebs- und Maschinendatenerfassung)
  • Qualitätssicherung (CAQ)
  • Rückverfolgbarkeit (Traceability)
  • Personalzeiterfassung (PZE)
  • kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)

Um diese Bereiche abzudecken, wird das Manufacturing Execution System horizontal in alle Prozessstufen sowie vertikal ins ERP und die Maschinensteuerungen integriert. Erst die Vernetzung von Produktions- mit Planungsdaten ermöglicht eine Optimierung der Key-Performance-Indikatoren (KPIs) sowie Maßnahmen im Rahmen des KVP. Ganz konkret können auf Basis dieser Datenintegration die Produkt-, Prozess- und Lieferqualität erhöht sowie Produktionskosten reduziert werden. Eine der großen Herausforderungen bei der Einführung eines ME-Systems ist das Fehlen einer global gültigen Schnittstellensprache. Zwar sind die Kommunikationsprotokolle der Open Platform Communications Foundation (OPC) weit verbreitet, doch sie sind nicht die einzigen, die von Fertigungsunternehmen genutzt werden. So erfreut sich etwa MTConnect wegen des geringen Verwaltungsaufwands einer immer größeren Beliebtheit, speziell bei KMU. Die komplexeren Protokolle OPC DA und OPC UA kommen jedoch der Notwendigkeit einer stabilen IT-Infrastruktur nach. Damit ein MES permanent Daten verarbeiten und KPIs in Echtzeit darstellen kann, braucht es eine leistungsfähige IT-Infrastruktur, die neben Stabilität auch Sicherheit garantiert.

Übergreifende Analysen werden erst ab einem gewissen Maß an Datenintegration möglich. (Bild: ©Damir Karan/Fotolia.com)
Übergreifende Analysen werden erst ab einem gewissen Maß an Datenintegration möglich. (Bild: ©Damir Karan/Fotolia.com)

Risiken analysieren und vermeiden

Kleine und mittlere Unternehmen erheben unterschiedliche Produktionsdaten, mit deren Hilfe sie Maschinenausfällen und Störungen vorbeugen wollen. Von einem automatisierten Risikomanagement kann aber noch nicht gesprochen werden, wenngleich sich KMU aufgrund der beschriebenen Produkt- und Prozessanforderungen der Industrie 4.0 auf ein solches Risikomanagement in der Produktion einstellen müssen – nicht zuletzt auch durch die überarbeitete ISO90001. Diese Norm sieht die Integration eines risikobasierten Denkens im Qualitätsmanagement vor. Das Forschungsprojekt ‚Quality Data based Risk Assessment for Industry 4.0‘ (Quadrika) beschäftigt sich beispielswesie mit der Entwicklung eines sogenannten ‚Quality Data Module‘ (QDM). Dieses soll neben der Risikoanalyse auch, durch die Integration in ein MES, die zur Vermeidung eines Risikos relevanten Prozesse steuern. Zudem ermöglicht das QDM, bestehend aus der Prozessanalyse, einer auf Szenarien basierenden Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA) sowie dem Prozessmanagement. Die jeweiligen Risiken werden anhand einer kostenbasierten Risikokennzahl eingestuft, die auf Basis von Machine-Learning-Algorithmen ermittelt wird. Die Algorithmen wiederum fußen auf historischen Prozessdaten. Die Risikokennzahl wird mit einem Schwellenwert gekoppelt. Wird dieser überschritten, werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet. So werden Produkt- und Prozessqualität gesteigert und zudem Kosten reduziert, die durch Ausschuss und Nacharbeit entstehen würden.

In drei Schritten zum MES

Die Einführung eines ME-Systems erfordert sorgfältige Planung. Die Vernetzung von Unternehmensleit- und Produktionsebene birgt nicht nur technische Herausforderungen, sondern sie wirkt sich auch auf die Unternehmenskultur aus. Silodenken und Expertenzum werden aufgebrochen. Die vielfältigen Erfahrungswerte der Mitarbeiter werden im MES abgebildet. Ein solcher Wandel sorgt häufig für Befürchtungen unter den Mitarbeitern. Sie frühzeitig in die MES-Einführung einzubinden, um einer späteren Ablehnung in der Belegschaft entgegenzuwirken, ist für den Erfolg eines MES unerlässlich. Grundsätzlich lässt sich die Einführung eines ME-Systems in drei Schritte unterteilen: Am Anfang steht die Anforderungsanalyse. Dabei werden die individuellen Voraussetzungen des jeweiligen Unternehmens identifiziert und der individuelle Digitalisierungsgrad ermittelt. Er bildet die Grundlage für die Formulierung der gewünschten Ziele. Im zweiten Schritt werden in der Ist-Analyse alle Produktionsprozesse, das ERP sowie eigenentwickelte BDE/MDE-Systeme erfasst. Aus dieser Analyse lassen sich Rückschlüsse für die Vorgabewerte des einzuführenden MES ableiten. Im dritten Schritt erfolgt die Implementierung des MES. Dabei wird das System an die in Schritt 1 ermittelten individuellen Voraussetzungen und Ziele angepasst. Vor der eigentlichen Inbetriebnahme wird mit Hilfe eines Piloten die Tauglichkeit des Systems überprüft, indem eine Maschine oder Produktionsanlage an das MES angeschlossen wird. Besonders wichtig ist dabei das Feedback aus dem Unternehmen, um das MES weiter anpassen zu können. Anschließend erfolgt der Rollout. Aufgrund der Skalierbarkeit eines ME-Systems kann es anschließend an veränderte unternehmensstrategische oder produktionstechnische Gegebenheiten angepasst werden.

Ursachen erkennen

Um das Risikomodell des Forschungsprojektes in der Produktion anzuwenden, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Abgesehen von der Erfassung der Prozessdaten sind in die MES-Lösung integrierte Messsysteme unabdingbar. Damit man Risiken in der Fertigung frühzeitig begegnen kann, müssen die erhobenen Daten in Echtzeit vorliegen. Nur dann kann gewährleistet werden, dass ein Mitarbeiter rechtzeitig entsprechende Maßnahmen einleiten kann. Die Voraussetzung für diesen Schritt ist die Visualisierung der Maßnahmen am Arbeitsplatz des Mitarbeiters. Manufacturing Execution Systems gelten als Brückentechnologie auf den Weg zur Smart Factory, denn sie ermöglichen für die (Fein-)Planung der Fertigung die notwendige Transparenz und Rückverfolgbarkeit, um die Effizienz von Produktionsprozessen zu steigern. Das Quality Data Module für MES-Lösungen geht dabei noch einen Schritt weiter: Anstatt Informationen über Störungen oder Stillstände nur zu vermitteln, erkennt es frühzeitig deren Ursachen und unterstützt somit im Rahmen eines Risikomodells die Vermeidung von Ausfällen und Ausschüssen in der Produktion. Dadurch erhöht sich die Rentabilität der Fertigung sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.


Michael Möller ist Geschäftsführer bei GBO Datacomp GmbH.