Autor Jörg Rehage

Integrationsmodell für Lebenszyklus- und Ressourcenmanagement

Ein Integrationsvorhaben für eine Multi-PLM-Umgebung sollte nach Möglichkeit mit erfahrenen Technologie- und Organisationsdienstleistern durchgeführt werden, da eine überwiegend mit administrativen Aufgaben betreute IT-Abteilung die projektnotwendigen Innovationsschübe in der Regel nicht leisten kann. Zudem wird ein solches Projekt häufig in Umfang und Güte unterschätzt. Um Produktlebensläufe von der Idee eines Produktes bis zur Auslieferung an den Kunden zu verfolgen, werden in Zukunft mindestens zwei Systeme notwendig sein: ERP-Systeme werden nach wie vor den Teil der ‚hard facts‘ und somit die Standard-Business-Abläufe auf der Unternehmensebene abbilden. Somit verbleibt die Domäne der führenden Systeme für Produktionsvorplanung, Materialdisposition, Auflösung von Stücklisten bis hin zur Freigabe von Fertigungsaufträgen, den ERP-Systemen vorbehalten. Die Fertigungsaufträge werden auch dann weiterhin nur grob geplant und gegen unendliche Kapazitäten in dem ERP-System berechnet. Um wirklich das zu fertigende Produkt, an jeder Stelle im Unternehmen mit allen Informationen zur Material- und Zeitwirtschaft, Qualitätsentstehung und -sicherung, Statusnachverfolgung und durchgängigem Projektmanagement, auf Tages- und Stundenebene, verfolgen zu können, werden Zweitsysteme diese und folgende Aufgaben abdecken müssen:

  • Auftragsmanagement und Zuordnung der Projektinformation (PDM, PLM, CRM)
  • Produktion überwachen und feinplanen (MES, APS)
  • Lager überwachen und buchen (ERP, MES)
  • Betriebscontrolling über Kennzahlen und Nachkalkulation (MES, MIS, ERP)
  • Zeitwirtschaft inklusive Projektzeitermittlung in allen Abteilungen (PZE, AZE, PLM, PM)
  • Produktentwicklung einschließlich des Erfassens von Besonderheiten sowie Visualisierung und Kontrolle von Entwicklungsständen (PDM, PLM)
  • Musterbau planen und dokumentieren (PDM, PLM, PM)
  • Projekt- und Zeitmanagement planen und steuern (PM)
  • Ressourcen wie Maschinenpark und Fachpersonal planen, steuern und überwachen (MES, PDM, ERP, PPS)
  • Fremdsysteme über DFÜ oder Clearing Center in die Datenwelt des Intranet einbinden (EDI, PLM, PDM)

Derzeit werden PDM- und PLM-Lösungen überwiegend mit großen CAD/CAM-Systemen in Verbindung gebracht. Der Überblick zeigt jedoch deutlich, wie stark Systeme vernetzt sein müssen, um wirklich alle Informationen zu einem Artikel oder zu einem Projekt zuordnen zu können. Im Idealfall greifen alle Bereiche oder Systeme, die mit einem Produkt in Berührung kommen, auf eine gemeinsame Datenbasis zu: Von der Planung im Produktionsplanungssystem (PPS) oder der ERP-Lösung über Konstruktion, Berechnung und Fertigung mit CAX- und NC-Programmen bis zum Betriebs- und Unternehmenscontrolling, Vertrieb und Service. Aus diesem Grund lassen sich auch kaufmännische Lösungen für Customer Relationship Management (CRM) nicht mehr losgelöst betrachten. Aufgrund der Komplexität sind Multi-PLM-Lösungen keine zu erwerbenden Produkte, sondern als Strategie zu verstehen, die durch technische und organisatorische Maßnahmen betriebsspezifisch umgesetzt wird.

Die Basis für solche integrierte Lösungen können ERP-Systeme bilden, die den Großteil der anfallenden und zu verwaltenden Daten und Prozesse aufnehmen. Das Multi-PLM wird dann durch organisatorische Festlegungen und geeignete technische Maßnahmen realisiert. So lässt sich etwa festlegen, welches System zu welchem Zeitpunkt die Datenhoheit hat, und wer unter welchen Voraussetzungen Zugriff auf Daten erhält. Auf technischer Seite lassen sich dazu die Methoden und Tools einer Enterprise Application Integration (EAI) einsetzen. So kann eine einheitliche Oberfläche für den Anwender geschaffen werden. Von dieser ausgehend sind, abhängig von Berechtigungen und Aufgaben, Zugriffe auf die in verschiedenen Systemen gespeicherten Daten und Prozesse möglich. Die eigentlichen Verwaltungswerkzeuge bleiben dabei für den Anwender verborgen, da er transparent mit einem virtuellen Datenpool in einer integralen Oberfläche arbeitet.

Konzentration auf die eigentliche Kompetenz

Dieses eher strategische und analytische Aufgabenspektrum findet aber nur wenig Entfaltungspotenziale im Tagesgeschäft. Vor diesem Hintergrund gibt es zahlreiche Outsourcing-Modelle für den Mittelstand, die eine Kombination aus Projektarbeit, Systemintegration, Know-how-Transfer sowie Hosting oder ‚Application Service Providing‘-Lösungen (ASP) darstellen. Auf diese Weise ermöglichen Multi-PLM-Systeme auch dem Mittelstand, Modelle wie Business Prozess Outsourcing (BPO) zu nutzen, um die Konzentration der Managementkapazitäten wieder auf die Kernprozesse auszurichten. Es gilt also zu überlegen, ob entsprechende IT-Projekte im eigenen Hause durchgeführt oder die Prozessinnovation und Systemgestaltung einem Outsourcing-Partner an die Hand gegeben werden soll. Jedes Unternehmen verfügt über eine begrenzte Anzahl an begabten und engagierten Führungskräften.

Deren Hauptaufgabe sollte in der Planung und Steuerung der Prozesse liegen, die besonders stark zur Wertschöpfung des Unternehmens beitragen. BPO-Konzepte können an dieser Stelle zu einer Entlastung von Management und IT-Abteilung im administrativen Bereich führen. Im Multi-PLM-Umfeld gibt es bereits Dienstleistungskonzepte, die auch für den produzierenden Mittelstand erschwinglich sind und das Projektrisiko, mit allen verbundenen Kosten- und Zielverfehlungen, erheblich reduzieren können. Dazu lassen sich Konzeption, Re-Engineering, Systementwicklung und Hosting an einen Dienstleister auslagern und die Projektziele vertraglich absichern. Für die Implementierung derartiger Systemlösungen sind allerdings Dienstleister mit einem hohen Spezialisierungsgrad gefragt, die auch über notwendige Prozessmodellierungswerkzeuge verfügen und im Wesentlichen Systemintegratoren sind.