Was darf es denn kosten?

Strategisches Produktkostenmanagement

Um als Unternehmen marktfähige Produkte zu entwickeln, sollte schon frühzeitig bekannt sein, was diese kosten dürfen und was sie kosten werden. Beantworten lässt sich diese Fragestellung mithilfe eines strategischen Produktkostenmanagements, das frühzeitig ansetzt und auf einer durchgängigen Datenbasis aufbaut.

Bild: Fotolia / andreas_f/damir_k

Eine flexible und zuverlässige Absatzplanung ist für die Produktentwiclklung von Industriebetrieben von hoher Bedeutung. Vor dieser Situation stehen Unternehmen beispielsweise, wenn auf Kundenwunsch eine über Jahre hinweg kaum veränderte Produktpalette rasch an sich wandelnden Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Im Automobilzuliefererbereich kann das beispielsweise bedeuten, auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen wettbewerbsfähige Elektronikkomponenten auf Basis neuartiger Methoden zu entwickeln und diese mithilfe noch nicht erprobter Fertigungsprozesse herzustellen. Dazu müssen auch die Kosten ganz neu kalkuliert werden – und hier fangen häufig die Probleme an. Wenn weder Standards etabliert sind noch durchgängige und belastbare Daten zur Verfügung stehen, lassen sich Kosten nicht exakt ermitteln. Als Folge können sich beispielsweise die neuen Elektronikkomponenten als zu teuer herausstellen und sich damit nicht am Markt durchsetzen.

Produktkostenmanagement als strategische Aufgabe

Vor diesem Hintergrund schätzen Industrieunternehmen die Bedeutung eines professionellen Kostenmanagements im Produktlebenszyklus inzwischen als sehr groß ein. Insgesamt 94 Prozent der Befragten einer Studie, die der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik II der Universität Erlangen-Nürnberg 2008 veröffentlichte, gab diese Einschätzung ab. Zudem gehen die Studienteilnehmer mehrheitlich davon aus, dass die Bedeutung des Kostenmanagements weiter zunehmen wird. Dieses zunehmende Interesse an einem professionellen Produktkostenmanagement wird auch im Verlauf von Beratungsprojekten regelmäßig geäußert und resultiert aus einem seit Jahren steigenden Preis- und Kostendruck, dem viele Unternehmen ausgesetzt sind. Dieser Druck wiederum wird von einer ganzen Reihe von Faktoren verursacht – von den steigenden Preisen für Rohstoffe bis zu immer anspruchsvolleren Kundenanforderungen und damit zu höchst komplexen und variantenreichen Produkten. Unternehmen sind daher gut beraten, das Produktkostenmanagement als strategische Aufgabe zu begreifen und entsprechend zu verankern.

An den richtigen Stellschrauben drehen

Mithilfe eines solchen strategisch ausgerichteten Produktkostenmanagements sollte sich schon während des Produktentstehungsprozesses die Fragen beantworten lassen, was ein Produkt eigentlich kosten darf und was es kosten wird – möglichst auf Knopfdruck und ohne großen Aufwand. Dazu schon frühzeitig exakte Informationen zu erhalten, ist wichtig, weil Entscheidungen, die während der Entwicklung und der Konstruktion gefällt werden, die Gesamtkosten zu etwa 75 Prozent bestimmen. Wird hier also an den richtigen Stellschrauben gedreht, lässt sich später ein marktfähiges Produkt herstellen. Wer ein auf eine retrograde Kalkulation ausgerichtetes Produktkostenmanagement im Unternehmen verwirklichen möchte, kommt in der Regel nicht umhin, systematisch Veränderungen bei den Prozessen, den Daten und der Technologie vorzunehmen. Ausgangspunkt ist dabei im Idealfall ein Audit, in dem entlang etablierter Standards und Richtlinien – so zum Beispiel der Qualitätsvorausplanung nach APQP oder VDA 4.3 – strategische Ziele festgelegt werden. Aus diesen lassen sich dann die Erfolgsfaktoren und die Handlungsfelder ableiten. Zum Abschluss eines Audits wird eine Fit-/Gap-Analyse durchgeführt, aus der sich der konkrete Nachholbedarf ergibt.

Vom Produktnutzen bis zur Gewinnprognose

Für die meisten Unternehmen wird es dabei vor allem darum gehen, ein Zielkostenmanagement – das so genannte Target Costing – in die bestehenden Geschäftsabläufe zu integrieren. Ausgehend von den spezifischen Produkteigenschaften und dem sich daraus ergebenden Nutzen für die Abnehmer wird dabei zunächst der Zielpreis für ein Produkt bestimmt – es wird also auf Basis von Erkenntnissen aus der Marktforschung oder konkreten Verhandlungsergebnissen der Betrag prognostiziert, den die Kunden bereit sein werden zu zahlen. Anschließend werden die Zielkosten ermittelt, die sich aus den erlaubten Kosten und den Selbstkosten zusammensetzen. Aus der Verrechnung von Zielpreis und Zielkosten ergibt sich der voraussichtlich Profit für das Unternehmen. Um das zu realisieren, bedarf es vor allem eines durchgängigen Prozesses und einer ebenso durchgängigen Datenbasis. Das beginnt damit, dass die Anforderungen, die ein Kunde an ein neu zu entwickelndes Produkt stellt, nach den einzelnen Produktkomponenten aufgefächert in einem Lastenheft exakt aufgeführt sein müssen und verbindlich verabschiedet werden. Die daraus resultierenden Leistungen sind samt Zielparametern detailliert in einem Pflichtenheft niederzulegen.

Vernetzte Strukturen für realistische Kostensimulation

‚Vernetzung‘ ist dabei das Zauberwort. Denn Lasten- und Pflichtenhefte dürfen nicht mehr einfach nur statische und isolierte Dokumente sein. Vielmehr gilt es, vernetzte Datenstrukturen zu schaffen, mit deren Hilfe sich jederzeit abrufen lässt, welche Anforderungen die einzelnen Produktkomponenten in welcher Weise beeinflussen. Eingebunden werden müssen dazu auch sämtliche Informationen zur Produktstruktur sowie zu den Einkaufs- und Herstellkosten. Ändert sich etwas bei den Anforderungen, der Produktstruktur, den Einkaufs- oder Herstellkosten, muss das mittels Änderungsmanagements exakt dokumentiert werden. Durch die Vernetzung sind die Konsequenzen für das Produkt so unmittelbar zu erkennen.

Erreichen lässt sich eine solche vernetzte Datenstruktur nur dann, wenn das Product Lifecycle Management-System (PLM) – und hier vor allem die Module für das Anforderungsmanagement und die Produktstrukturgliederung samt Konfigurationsraum und Kosteninformationen -, das Enterprise Resource Planning-System (ERP) sowie eine Target-Costing-Software eng miteinander verzahnt sind. Die letztgenannte Lösung muss in den meisten Fällen neu eingeführt werden. Sie ist aber erforderlich, um alle Daten zusammenzuführen und aufzubereiten. Zudem hält die Target-Costing-Software eine Reihe von wichtigen Werkzeugen bereit – so zum Beispiel für eine realistische Kostensimulation, für die unternehmensweit gewonnene Daten genutzt werden und mit der sich die Kostentreiber über die gesamte Produktstruktur hinweg identifizieren lassen.

Erst das Change Management, dann die Software

Unternehmen, die in Erwägung ziehen, ihr Produktkostenmanagement umzustellen, sollten dafür mehrere Schritte einplanen. Wichtig ist, dass von Beginn an die strategische Ausrichtung klar ist, dass Erfolgsfaktoren abgeleitet und dass Handlungsfelder festgelegt und priorisiert sind. Die Reihenfolge der erforderlichen Schritte ist nun maßgebend. Dabei sollte der Fehler vermieden werden, die Einführung einer Software in den Vordergrund zu stellen. Stattdessen gilt es zunächst, für die Datendurchgängigkeit, eine sinnvolle Produktstrukturierung und die Einführung der erforderlichen Auswertungsmethoden zu sorgen.

Bei der Umsetzung eines strategischen Produktkostenmanagements werden sich Änderungen innerhalb der Organisation und hinsichtlich der Tätigkeiten der Mitarbeiter ergeben: So erstellt der Produktmanager auf einmal Lastenheftstrukturen und gibt diese frei. Bei Änderungen informiert er die anderen Fachbereiche über einen Änderungsdienst – und nicht mehr per Zuruf. Der Projektleiter im Bereich Engineering erteilt nicht mehr nur die technischen Freigaben, sondern bewertet gemeinsam mit dem Produktmanager kontinuierlich die Kostenseite. Und das Controlling stellt Daten für das Zielkostenmanagement bereit. Für den Erfolg des gesamten Projekts ist es daher wichtig, die betroffenen Mitarbeiter von Anfang an mitzunehmen. Dies bedeutet, frühzeitig einen Change-Prozess zu gestalten und dabei die beteiligten Fachbereiche und Menschen einzubinden.

Nach welcher Zeit sich die Investition in ein strategisches Produktkostenmanagement auf amortisiert hat, ist kaum zu sagen und kommt auf den Einzelfall an. Wird auf diesem Wege allerdings vermieden, ein Produkt zu fertigen, das sich nicht am Markt durchsetzt, kann sich ein solches Projekt sehr schnell rechnen. Denn als Ergebnis sollte das Unternehmen in der Lage sein, zu jeder Phase des Produktentstehungsprozesses die Anforderungen aus dem Lastenheft zu messen und bei der Entwicklung falls erforderlich gegenzusteuern.

Vorgehensmodell für das Change Management

MHP Value Assessment ist ein auf etablierten Standards basierendes Vorgehensmodell, mit dessen Hilfe sich die strategischen Ziele, die Erfolgsfaktoren und die Handlungsfelder für die Umstellung von Prozessen und IT im Unternehmen ermitteln lassen – so zum Beispiel beim Produktkostenmanagement. Eingesetzt werden verschiedene Methoden und Werkzeuge, die sich auf den spezifischen Bedarf jedes Unternehmens anpassen lassen. Diese erhalten damit eine objektive Fit-/Gap-Analyse, die in Bezug auf die Prozesse des Unternehmens zeigt, wo noch Nachholbedarf besteht.







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