Interoperable Datenökosysteme

Ein Booster für den digitalen Zwilling

Das Potenzial des Digitalen Zwillings ist groß, doch seine wahre Größe wird sich erstentfalten können, wenn er kollaborativ genutzt wird. Dafür müssen einheitliche Datenstandards geschaffen werden – wie etwa die Asset Administration Shell (AAS).

Bidl: ©MangKangMangMee/stock.adobe.com
Bidl: ©MangKangMangMee/stock.adobe.com

Ein Datenökosystem ist ein sozio-technisches System, in dem Unternehmen zum wechselseitigen Datenaustausch kooperieren und sich von der Teilnahme einen gegenseitigen Nutzen versprechen. Viele der heute schon existierenden Datenökosysteme oder Plattformen, werden von einzelnen Unternehmen bereitgestellt. Die Teilnahmebedingungen sind allerdings oft auf den kommerziellen Nutzen dieser Unternehmen zugeschnitten. Der Plattform-Provider entscheidet auch, wer in seinem Datenökosystem als Partner mitwirken darf. Der Nachteil davon ist, dass manche Partner sich möglicherwiese an eine Vielzahl von singulären Datenökosystemen mit jeweils eigenen Regularien anbinden müssen. Trotz mehrerer Versuche, Datenökosysteme in der Privatwirtschaft aufzubauen, war man damit in Europa lange nicht sonderlich erfolgreich.

Ziele der EU

Daher haben sich die Mitglieder der Europäische Union darauf verständigt, föderative Datenökosysteme für unterschiedliche Branchen zu etablieren. Diesem übergreifenden Ansatz hat sich die Gaia-X-Initiative verschrieben, welche unter anderem die Regeln für ein Datenökosystem branchenübergreifend definiert. Diese werden dann von den branchenspezifischen Datenökosystemen, wie etwa Catena-X für den Automotive-Bereich, angepasst und implementiert. Die Vision ist ein freier, digitaler Datenmarktplatz, in dem die teilnehmenden Unternehmen Dienstleistungen und Daten anbieten oder anfordern können.

Regeln und Standards

In Datenökosystemen werden die Regeln für die Zusammenarbeit sowie eine Standardisierung der Daten definiert. Ein Großteil der Daten in der fertigenden Industrie und Logistik wird künftig durch Digitale Zwillinge abgebildet werden, also digitalen Abbildern von physischen Produkten. Ihr Potenzial besteht darin, dass sie zum einen als Datencontainer die exakte Produktzusammensetzung mit Seriennummern, Bestandteilen und Inhaltsstoffen abbilden. Zum anderen kann der Digitale Zwilling zum Austausch von Daten mit dem physischen Zwilling genutzt werden, um basierend auf historischen Daten und externen Quellen etwa Wartungsprozesse weiter zu optimieren. Darüber hinaus werden neue, datengetriebene Geschäftsmodelle unterstützt. Zwar bieten Firmen bieten bereits digitale Zwillinge an, haben jedoch proprietäre Datenformate und -modelle für die Zusammenarbeit mit ihren Partnern definiert oder setzen digitale Zwillinge nur innerhalb ihres Unternehmens ein. Proprietäre Ansätze zum Austausch von Daten können jedoch zu enormen Kosten führen. Das Ziel muss daher sein, Daten und Datenformate zu standardisieren.

Aufbau einer Asset Administration Shell (AAS) (Bild: msg Systems AG)
Aufbau einer Asset Administration Shell (AAS) (Bild: msg Systems AG)

Wie einst der See-Container?

Anfang der 1960er Jahre ermöglichte die erfindung des standardisierten See-Containers Schiffe, um ein Vielfaches schneller zu be- und entladen und durch die Entwicklung riesiger Containerschiffe die Frachtkosten signifikant zu senken. Damit wurde die Grundlage für eine globale Warenwirtschaft geschaffen. Dies war nur möglich, indem neben dem Container auch die Infrastruktur der Häfen und Transportwege vereinheitlicht wurde. Analog dazu muss nun eine industrieübergreifende Standardisierung der Daten und Datenformate, sowie der involvierten IT-Infrastruktur erfolgen. dadurch können Daten partner- und unternehmensübergreifend ohne Konvertierungen ausgetauscht werden. Modelle für Digitale Zwillinge müssen für unterschiedliche Anwendungsfälle aber auch hinreichend flexibel sein. Wenn sie zwischen Providern und Nutzern ausgetauscht werden sollen, müssen sich alle Parteien an dieselben Strukturen und Syntax halten. Unter diesen Gesichtspunkten hat die Industrial Digital Twin Association (IDTA) das Konzept der modularen Asset Administration Shell (AAS) entwickelt.

Neue Services

Als Datenmodell eines digitalen Zwillings begleitet die AAS den kompletten Lebenszyklus eines Objekts und verwaltet somit die relevanten Merkmale und Zustände. Die Standardisierung von digitalen Zwillingen im Zusammenspiel mit Datenökosystemen ermöglicht neue Business Services, wie die Bereitstellung von Daten zur ordnungsgemäßen Entsorgung der Produkte durch den Hersteller und Lieferanten. Dabei soll die Datensouveränität in den Händen des Datenproviders bleiben. Sowohl AAS als auch Gaia-X haben das Ziel, ein Zugriffsrechtekonzept auf Datenebene bereitzustellen. Um eine übergreifende Zusammenarbeit zu ermöglichen, müssen die existierenden individuellen Zugriffskonzepte kompatibel werden. Partner beider Initiativen konnten sich auf ein Regelwerk und eine Governance-Struktur der Eclipse Foundation einigen, die eine gemeinsame Basis für die Entwicklung Digitaler Zwillinge und Datenökosysteme schafft.

Wo geht die Reise hin?

Die Notwendigkeit, Datenökosysteme mit unternehmensübergreifenden Datenstandards zu schaffen, ist in Europa verstanden worden. Aktuell scheint vor allem Europa, unterstützt durch Regierungen und Ministerien, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Um erfolgreich zu sein,müssen die Initiativen rund um die AAS und Gaia-X aber auch international akzeptiert werden. Erst dann können Unternehmen und weitere Entitäten die Anwendung wirklich gewinnbringend kollaborativ nutzen und das Potenzial des Digitalen Zwillings ausschöpfen.