Der Aufbau einer additiven Serienfertigung scheitert immer wieder, weil Fachwissen oder Erfahrung fehlt. Die DIN SPEC17071 soll den Aufbau von solchen Produktionslinien verkürzen und ist die Basis eines internationalen ISO-Standards, der 2022 kommen soll.

(Bild: TÜV Süd AG)

Als Folge sensibler Anlagentechnik sind viele Qualitätsmerkmale in der Additiven Fertigung oft noch nicht reproduzierbar. So weisen viele Serienbauteile keine einheitliche Festigkeit auf oder kommen mit Verzug und abweichenden Maßen aus den Maschinen. Auch die Weiterverarbeitung mit Strahlmitteln verändert das Materialgefüge teils anders als geplant. Die Herausforderungen nehmen mit der Höhe der Stückzahlen und der Produktqualität zu. Einheitliche Festigkeitswerte und Abmessungen bei der Serienfertigung sind aber unabdingbar – das gilt vor allem in regulierten Branchen wie etwa dem Eisenbahnwesen, der Medizin, Luftfahrt und der Öl- und Gasindustrie. Hier kann es sinnvoll sein, die Ausgangmaterialien genauer zu spezifizieren.

Arbeitsumfeld prüfen und zertifizieren

Weitere Herausforderungen beim Aufbau einer generativen Fertigung sind die teils noch mangelnde technologische Ausgereiftheit vieler Verfahren sowie wenig Erfahrung mit ihnen. Hersteller in der Industrie müssen schon bei sehr kleinen Prozessabweichungen systematisch gegensteuern. In diesem Zusammenhang liegt der Fokus auf kontinuierlich verbesserten Best-Practice-Methoden im direkten Produktionsumfeld: dem Daten-, Material- und Maschinenhandling, Be- und Entladevorgängen, der Anlagenüberwachung, dem Wartungsprogramm und der Maschinenkalibrierung sowie dem Arbeitsschutz.

Ist die Definition der Auftragsabwicklung vollständig? Existieren Laufkarten mit je Station sinnvollen Arbeitsanweisungen? Sind die Mitarbeiter ausreichend qualifiziert und qualitätsbewusst? Wichtig ist auch ein AM-gerechtes Arbeitsumfeld mit spezifischen Arbeitsmitteln und Sicherheitsanweisungen. Im Rahmen der Materialkontrolle prüft TÜV Süd beispielsweise den gesamten Prozesskreislauf von der Wareneingangskontrolle und Lagerung über die Wiederaufbereitung bis hin zu Kreuzkontaminationen und der Endkontrolle. Prüfgrundlage ist die DIN SPEC17071, auf deren Basis TÜV Süd additive Fertigungsstätten zertifiziert. Eine DIN SPEC lässt sich oft innerhalb weniger Monate auf den Weg bringen und umsetzen. Sie entsteht in kleineren Arbeitsgruppen ohne Konsenspflicht.

Beispiel aus der Praxis

Ein Beispiel für den Aufbau, die Prüfung und Zertifizierung einer Produktion nach der DIN SPEC17071 liefert ein deutscher Mittelständler, der TÜV Süd Product Service beauftragt hat, das Qualitätsmanagement rund um die additive Fertigung zu prüfen. Das Unternehmen produziert für den Maschinen- und Gerätebau, die Medizintechnik sowie die Lebensmittel-, Automobil- und Möbelindustrie. Die externen Auditoren begutachteten die Materialprüfung, ob die Maschinenabnahme reproduzierbar dokumentiert war sowie die gesamte Führung des Fertigungsprozesses. Weitere Punkte betrafen die Bediener, Ingenieure, QM-Manager, den Vertrieb und die Projektleiter.

Ein dort genutztes Verfahren ist Powder Bed Fusion (PBF). Hier wandelt eine punktgenaue Hitzeeinwirkung Pulver schichtweise in einen festen Kunststoff um. Unterschiedliche Parameter müssen dafür, bezogen auf den Ausgangswerkstoff und das Design, eingestellt werden. Dazu gehören die Laserenergie, die Belichtungsgeschwindigkeit und die Bautemperatur. Nur wenn das Pulver reproduzierbar verfestigt wird, stimmen die Festigkeitswerte des Bauteils. Eine gleichbleibende Qualität der Rohstoffe ist daher genauso wichtig.

Steigbügel für mehr Systematik

Die DIN SPEC17071 orientiert sich am neuen Stand der additiven Fertigung. Mit dem branchenübergreifenden Leitfaden sollen Hersteller eine qualitätsgesicherte Produktion in sechs Monaten errichten können. Bisher dauerte das mitunter mehrere Jahre. Nun lassen sich vollständige und verlässliche Pflichtenhefte für Materiallieferanten oder Auftragsfertiger schneller erstellen. Das reduziert die Lieferantenaudits und erleichtert der Einkauf von Bauteilen.

Qualitätsanforderungen lassen sich bauteil- und produktspezifisch klären: Die Spezifikation definiert einheitliche Anforderungen an die Anlagen, Materialien, Prozesse und Mitarbeiter. Hierzu gehören Anforderungen an die Datenverarbeitung, das Management des Ausgangsmaterials, die anlagenbezogene Prozessvorbereitung, -durchführung und -nachbereitung sowie die bauteilbezogene Nachbearbeitung. Betrachtet werden zudem die Prozessqualifizierung, die Qualitätssicherung sowie personelle Voraussetzungen. Die Anforderungen der DIN SPEC17071 formulierte TÜV Süd Product Service zusammen mit der Deutschen Bahn, MT Aerospace und Siemens Mobility.

Basis für ISO-Standard

Ohne in die bestehenden Europäischen Richtlinien eingebunden zu sein, bildet die DIN SPEC17071 eine Vorstufe zum internationalen Standard ISO/ASTM52920-2. Bisher existieren nur wenige ISO-Standards und DIN-Normen, die sich für die Prozesse der Qualitätssicherung und Zertifizierung anwenden lassen. Über viele Voraussetzungen und Arbeitsweisen besteht noch kein abschließender Konsens oder genaue Leitlinien müssen erst noch ausformuliert werden. Insbesondere der Einbindung in die Europäischen Richtlinien ist hier besondere Beachtung zu schenken. Viele offene Fragen werden im ISO-Komitee TC 261 ‚Additive Manufacturing‘ bearbeitet und dürften sich innerhalb der nächsten Zeit in Bereichen wie der Ausbildung und der Validierung von Prozessen auswirken.

Die Autoren sind Gregor Reischle, Head of Additive Manufacturing und Global industrial AM Team, sowie Christophe Blanc, Program Manager AM Production site certification, von der TÜV Süd Product Service GmbH.

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